27.09.2023

Eine (R)Evolution in der Hautpflege

Epigenetikforschung | Expert*inneninterview

Bereits vor mehr als 80 Jahren erkennt der britische Wissenschaftler Conrad Hal Waddington, dass es eine Art Bindeglied zwischen unserem Genom und der Umwelt gibt. Er prägt hierfür den Begriff Epigenetik. Doch erst zu Beginn der 2000er-Jahre rückt die Epigenetik in den Fokus internationaler Forschungen. Die Beiersdorf AG, die allein im Geschäftsjahr 2022 291 Millionen Euro in den Bereich Forschung & Entwicklung (> 1000 Mitarbeitende) investiert hat, gehört zu den „Pionieren“ in puncto Epigenetik der Haut. Dr. Marc Winnefeld, Abteilungsleiter Applied Skin Research, sowie Dr. Elke Grönniger, Leiterin des Labors Skin Aging bei Beiersdorf, erklären im folgenden Interview, was sich hinter der patentierten SKIN AGE CLOCK Technologie verbirgt – und was epigenetisch wirksame Substanzen in Hautcremes bewirken können.

Seit 2008 forschen Sie bei Beiersdorf zu Epigenetik. Was macht den Job so spannend?

Gleiches genetisches Material bedeutet nicht automatisch gleiches biologisches Alter. Dies ist auf unsere individuellen epigenetischen Muster zurückzuführen.

Marc: Mich fasziniert, ständig neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie unsere Haut im Detail funktioniert bzw. wodurch es zu Einschränkungen der Funktionsweise kommt, wenn die Haut altert. Epigenetik ist ein wichtiger Mechanismus für die Regulierung biologischer Prozesse. Dabei muss man bedenken, dass Hautalterung ein hochkomplexer, multifaktorieller Prozess ist, den die wissenschaftliche Gemeinschaft trotz zahlreicher wertvoller Erkenntnisse immer noch nicht zu 100 Prozent versteht. Lange wurde beispielsweise angenommen, dass die Art und Weise, wie wir altern, mehr oder weniger genetisch festgeschrieben ist. Doch das Feld der Epigenetik hat dies nachhaltig widerlegt. Wir wollen Alterung weiter entschlüsseln und haben dabei das Potenzial der Epigenetik früh erkannt. Deshalb sind wir bereits sehr viele Jahre auf dem Feld aktiv.

Elke: Ein ergänzendes Beispiel hierzu: Eineiige Zwillinge verfügen über identisches Erbgut, also identische Voraussetzungen, auf dieselbe Art und Weise zu altern, wenn dies genetisch fest vorprogrammiert wäre. Das war lange die Annahme. Doch die Alterung von eineiigen Zwillingen kann ganz unterschiedlich verlaufen, was auf die abweichenden äußeren Faktoren, also unseren Lebenswandel, Ernährung, Stress, UV-Strahlung etc., zurückzuführen ist.
Diesen Mechanismus, über den Umweltfaktoren die Aktivität unserer Gene beeinflussen können, beschreibt die Epigenetik. Wir waren unter den Ersten, die umfassende epigenetische Veränderungen während der Hautalterung identifizieren konnten. Bereits 2010 haben wir dies in dem wissenschaftlichen Fachmagazin „Plos Genetics“ publiziert1.

Wir haben einen Forschungsstand erreicht, der eine substanzielle epigenetische Verjüngung der Haut in greifbare Nähe rückt.

Dr. Marc Winnefeld

Wie muss ich mir diesen Mechanismus, der für die unterschiedliche Alterung verantwortlich ist, konkret vorstellen?

Marc: Unsere Hautzellen „nutzen“ mehr als 15.000 Gene. Diese Gene kann man sich auch vorstellen als unseren individuellen „Hautcode“, der von den Zellen ausgelesen wird, wenn sie ihren alltäglichen Aufgaben nachgehen. Das heißt: sich erneuern, reparieren, Kollagen produzieren usw. Mit zunehmendem Alter und in Abhängigkeit von äußeren Faktoren entstehen auf dem Hautcode Blockaden. Dieses Phänomen ist auch bekannt als „DNA-Methylierung“; es hinterlässt ein individuelles epigenetisches Muster. Durch diese Blockaden können einzelne Gene stillgelegt werden und es kommt zu „Auslesefehlern“ des Codes, sodass die Zelle ihre biologischen Prozesse nicht mehr vollumfänglich wahrnehmen kann. Doch die gute Neuigkeit lautet: Diese Stilllegung ist reversibel. Zahlreiche Studien zeigen, dass positive äußere Einflüsse die stillgelegten Gene wieder aktivieren können. Das vitale Aussehen unserer Haut ist also in erheblichem Maße das Ergebnis einer genauen Regulierung ihres epigenetischen Musters und ihres Hautcodes. Es geht darum, die positiven Mechanismen einzuschalten und die Mechanismen der Hautalterung auszuschalten. Und das können zusätzlich zu einem gesunden Lebenswandel beispielsweise auch epigenetisch wirksame Inhaltsstoffe in Kosmetika sein. 

Heißt das, wir sehen dank einer Creme bald also mit 60 noch wie mit 40 Jahren aus?

Elke: Dies wäre in der Tat etwas zu viel verlangt. Den Traum von der „ewigen Jugend“ können wir mit dem Griff in die Cremedose wohl nicht erfüllen, zumindest noch nicht. Doch ich bin überzeugt: Mit unserer Epigenetik-Expertise werden wir die Art und Weise, wie die Haut altert, deutlich verändern. Dabei geht es uns darum, nicht nur einzelne Defizite der Hautzellen auszugleichen, sondern diese von Grund auf zu verjüngen. Beiersdorf verfügt in diesem Zusammenhang über ein Alleinstellungsmerkmal: Wir haben eine biologische „Altersuhr“ der Haut, die SKIN AGE CLOCK Technology, entwickelt und patentieren lassen. 

Unser Ziel ist es, nicht nur einzelne Defizite der Hautzellen auszugleichen, sondern diese von Grund auf zu verjüngen.

Dr. Elke Grönniger

Könnten Sie bitte kurz für „Laien“ erläutern, was das bedeutet?

Elke: Ja, gern. Dieser Algorithmus ist eine echte Schlüsseltechnologie: Indem wir das angesprochene epigenetische Muster auslesen, können wir zum einen das biologische Alter der Haut sehr präzise bestimmen. Zum anderen sind wir dadurch in der Lage, Wirkstoffe zu identifizieren, auszuwählen und Produkt-Lösungen zu kreieren, die das epigenetische Muster positiv modulieren. Das heißt konkret: Alterungsprozesse nicht nur verlangsamen, sondern die biologische Uhr der Haut zurückdrehen und dadurch die Funktionsfähigkeit der Hautzellen wieder nachhaltig verbessern. Damit können wir maßgeblich zum „Healthy Aging“, also dem gesunden Altern unserer Verbraucher*innen, beitragen.

Mit Hilfe eines Chips messen Wissenschaftler*innen rund 850.000 Methylierungsstellen im Genom, um die für die Hautalterung verantwortlichen Blockaden besser zu verstehen.

Marc: Um das noch mit ein paar Zahlen zu untermauern: Wir können chipbasiert inzwischen rund 850.000 sogenannte Methylierungsstellen im Genom messen. Dies hilft zu verstehen, welche Blockaden für die Hautalterung verantwortlich sind. Bereits 2012 haben wir erste Modellwirkstoffe mit epigenetischer Aktivität identifiziert. Seitdem nahmen unsere Expertinnen und Experten mehr als 50.000 Substanzen und Extrakte unter die Lupe. Die Entwicklung der hautspezifischen „Altersuhr“ ist ein wichtiger Meilenstein in der Anti-Aging-Forschung. Hierfür haben wir Ende 2021 das Patent erhalten. Und diese Technologie entwickeln wir seitdem stetig weiter. Wir können inzwischen auf einen Forschungsstand blicken, der eine substanzielle epigenetische Verjüngung von Hautzellen in greifbare Nähe rückt.

Was ist bei der Entwicklung von neuartigen Hautcremes auf Basis von epigenetisch wirksamen Substanzen die größte Herausforderung?

Marc: Ein Forscher benötigt reichlich Ausdauer und auch eine gewisse Frustrationstoleranz. Viele Stunden arbeitet man auf den ersten Blick vergeblich, doch nur aufgrund von Misserfolgen bzw. Rückschlägen sind Fortschritte zu erzielen. Wenn ein geeigneter Wirkstoff gefunden ist, der in diversen Testreihen alle „Hürden“ erfolgreich genommen hat, folgt die nächste große Herausforderung: Wie lässt sich diese natürliche Substanz stabil in eine Creme-Basis integrieren, sodass einerseits das Produkt über einen längeren Zeitraum seine volle Wirkung entfaltet und sich andererseits ein angenehmes Hautgefühl nach dem Auftragen einstellt?

Elke (ergänzt): Hier können wir auf unsere mehr als 140-jährige Kompetenz bei der Entwicklung von hochwertigen Hautpflege-Lösungen zurückgreifen. Auch diese enge Zusammenarbeit von anwendungsorientierter Forschung und Produktentwicklung macht unseren Job so spannend.

Vielen Dank euch beiden für diese wertvollen Einblicke.

Erfahrt mehr über unsere faszinierende Epigenetik-Forschung auf unserer Website.

1 Grönniger E, Weber B, Heil O, Peters N, Stäb F, et al. (2010) Aging and Chronic Sun Exposure Cause Distinct Epigenetic Changes in Human Skin. PLoS Genet 6(5): e1000971. doi: 10.1371/journal.pgen.1000971

Beiersdorf Eingang

Über die Autorin: Kathrin Erbar

Kathrin nimmt uns mit auf eine Reise in das faszinierende Feld der Forschung und Entwicklung bei Beiersdorf. Bevor sie sich mit der DNA von Beiersdorf beschäftigte, war sie für die Kommunikation zu Themen rund um HR zuständig, darunter Diversity, Führung oder New Work. Davor hatte sie sich ganz den Zahlen verschrieben und war mehrere Jahre lang für die Finanzkommunikation bei Beiersdorf verantwortlich.